Warum wird die Kernenergie immer wieder als Retter hochstilisiert?
Ein FDP-Regierungsmitglied resümiert, dass u.a. ein Mobilisierungsproblem, vor allem bei Älteren, Mitschuld am Wahldebakel der FDP in Niedersachsen trägt. Die Älteren beobachten allerdings seit Jahrzehnten wie die von der FDP unterstützten Kräfte der freien Marktwirtschaft das Land immer weiter weg führen vom ursprünglichen Sinn unseres Grundgesetzes. Man denke an: Würde des Menschen, Orientierung am Gemeinwohl, soziale Marktwirtschaft oder Schutz der Lebensgrundlagen. Sehr viele Wähler und Nichtwähler finden diese Entwicklung offenbar nicht so gut. Falls Christian Lindner das Grundgesetz nicht als „links“ einstuft, müßte die von ihm und anderen geforderte Politik der Mitte sich am Grundgesetz ausrichten.
In der Praxis prallen die Ideologie der freien Marktwirtschaft und die einer sozialen Marktwirtschaft im ursprünglichen Sinne unseres Grundgesetzes immer wieder aufeinander. Die Argumentation wird entsprechend der Grundeinstellung aufgebaut, was nicht immer der Sache dient.
Warum wird die Kernenergie immer wieder als Retter hochstilisiert? Aktuell geht es evtl. um 5% des jährlichen Strombedarfs. Die Kernenergie ist ein erprobtes Macht-, Druck- und Erpressungsmittel. Aus Sicht der freien Marktwirtschaftler und der Kernenergielobby ist ein Atomausstieg nur eine vorübergehende Erscheinung. Denn die Kernenergie dient nicht nur der Stromerzeugung, sondern viel mehr der weiteren komplexen Verstrickung der Verbraucher in das Netzwerk der globalen freien Marktwirtschaft mit all ihren Abhängigkeiten. In der 2017 (!) erschienenen Broschüre Rohstoff Uran des Deutschen Atomforums (DAtF) ist zu lesen, dass Uranvorkommen im Meer (4 Mrd. Tonnen mit 3,3mg U/m3) den Bedarf für Jahrtausende decken würden. Forschungsergebnisse von 2016 zeigen, dass pro Kilogramm Absorbermaterial (Kunststofffäden) 6g Uran gebunden werden können. Für einen Jahresbedarf von z.B. 60.000t Uran würden also 10 Mio. Tonnen Kunststofffäden ins Meer gehängt. Konventionelle Uranvorkommen seien in ca. 200 Jahren erschöpft.
Speziell im Gegensatz zu AKWs haben Wind- und Sonnenkraftwerke folgende Merkmale: einfache Technik, versicherbar, leicht zu installieren, wartungsarm, kaum Personalkosten für den Betrieb, geringeres Risiko durch Dezentralisierung, wie auch geringere Leitungsverluste. Und vor allem ist unendlich viel „Verbrauchsmaterial“ gratis vor Ort vorhanden. Warum also setzen sich die erneuerbaren Energien nicht durch?
Diese praktischen Wind- und Sonnenkraftwerke lassen sich im Sinne des Gemeinwohls gut als kommunale oder Bürgerenergiegesellschaften betreiben. Das allerdings ist ein rotes Tuch für Politiker, die mit einer freien Marktwirtschaft nach Friedrich-August von Hayek sympathisieren (z.B. Christian Lindner, Frank Schäffler, Friedrich Merz, Beatrix von Storch). Die Förderung dieser Form der Stromversorgung (preiswert, einfach, sozial) durch den Staat ist eindeutig zu viel Einmischung in die freie Marktentfaltung. Freiheitseinschränkungen nur auf Grund von Zweckmäßigkeit sind nach Ansicht von Hayek schädlich.
Da die freie Marktwirtschaft und unser Grundgesetz in vielen Punkten Gegenspieler sind, steckt die Ampel fest, wie auch die Vorgängerregierungen. Wir brauchen eine Regierung, die sich eindeutig dem Grundgesetz in seinem ursprünglichen Sinn verpflichtet fühlt, entsprechend handelt und die Menschen für die Demokratie begeistert. Mit ihren Kompetenzen in Marketing Kommunikation könnte sich die FDP hier gut einbringen.
Heike Frankl, Adelebsen Oktober 2022